Unsere Welt ist zu komplex und zu kompliziert, um sie nur durch Nullen und Einsen zu berechnen. Das digitale Zeitalter geht zu Ende, es ist Zeit für den Quantencomputer.
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Große Fragen in 10 Minuten Wann kommt der Quantencomputer?

19. März 2025, 12:15 Uhr

Wir hoffen, dass KI uns eines Tages helfen wird, die wichtigsten Probleme der Menschheit zu lösen: wir reden über sicheres autonomes Fahren, über nachhaltige Materialien mit sensationellen Eigenschaften und darüber, dass wir irgendwann den Krebs besiegen und den Weltraum besiedeln werden. Was wir aber vor allem brauchen, um all diese Visionen Wirklichkeit werden zu lassen, sind: Quantencomputer. Doch wie funktionieren die eigentlich? Und warum haben wir davon noch keine zu Hause stehen?

MDR Wissen Redakteur Karten Möbius
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Ach, was wäre das für eine neue, für eine andere Welt, wenn es diese Wunderwerke der technischen Entwicklung endlich gäbe?! "Wir haben den Quantencomputer schon", sagt Jan Meijer, Professor für Angewandte Quantensysteme von der Universität Leipzig ganz locker. "Der ist da. Den können Sie kaufen."

Naja, ganz so einfach ist es dann vielleicht doch nicht. Etwa 100 solcher Computer hat es 2024 weltweit gegeben – man müsste also zumindest schon mal Millionärin oder Millionär sein, um sich solch einen Rechner leisten zu können.

Quantencomputer
Prototyp eines Quantencomputers eines chinesischen Forschungsteams, 2020. Bildrechte: imago images/Xinhua

Und selbst wenn, vermutlich wären Sie eher enttäuscht von ihrem Kauf. Denn unsere üblichen Schreib-Programme und Tabellenkalkulationen, Videochat-Anwendungen oder Computerspiele würde auch nicht anders laufen als bisher. Erstens, weil Quantencomputer für so einen Alltagsquatsch gar nicht gedacht und gemacht sind. Und zweitens, weil klassische Rechner bei bestimmten dieser Anwendungen sogar noch besser sind.

Die Frage ist nicht wann, sondern wie gut

Deshalb ist die eigentliche Frage nach dem Quantencomputer eher eine andere, schlägt Quantenphysiker Jan Meijer vor: "Ich glaube, Sie meinen eher: Wann ist der Quantencomputer so gut, so sinnvoll, dass der klassische Rechner nicht mehr mitkommt?"

Der entscheidende Begriff ist "sinnvoll". Denn es geht nicht nur darum, dass es irgendwelche Rechner gibt, die schneller sind als das, was wir bislang auf dem Schreibtisch zu Hause oder im Büro stehen haben. Es geht um Rechenmaschinen, die völlig anders sind! Wenn die erstmal richtig in Fahrt kommen und aus den Kinderschuhen raus sind – dann werden die bisherigen digitalen Systeme mit ihren Nullen und Einsen komplett Geschichte sein!

Das ist, als würde ich meine Lesebrille mit dem James-Webb-Weltraumteleskop vergleichen. Kein Quatsch! So groß, so bedeutend ist der Unterschied.

Karsten Möbius, Podcast-Host

Alles parallel und gleichzeitig

Fürs grundlegende Verständnis: Ein klassischer Computer führt Rechenoperationen einzeln und nacheinander aus, ganz nach dem Prinzip Trial and Error, also Versuch und Irrtum. Und das tut er so lange, bis die Lösung gefunden und das Ergebnis da ist.

Stefan Kehrein, Professor für Theoretische Quantenphysik an der Georg-August-Universität Göttingen, veranschaulicht es am Beispiel einer Suche nach dem schnellsten Weg aus einem Labyrinth: "Ein klassischer Computer geht mal nach rechts, mal nach links. Und wenn es da nicht weitergeht, dann geht man einen Schritt zurück und in die andere Richtung. Und irgendwann hat man die Lösung gefunden. Ein Quantencomputer kann im Prinzip alle Wege simultan ausprobieren."

Das bedeutet, im Gegensatz zum klassischen Computer berechnet der Quantencomputer in diesem Fall alle – also tatsächlich alle – möglichen Wege durch das und aus diesem Labyrinth. Und das auch noch gleichzeitig!

Das würde aber auch heißen, dass wir uns so etwas wie Pin-Codes und Passwörter künftig sparen können, sie wären schlichtweg sinnlos. Egal, ob nun "Monika35#!?" oder "ABC123" oder das ultimative Super-Passwort, dass uns vorgeschlagen wird – ein Quantencomputer würde einfach alle – also tatsächlich alle – möglichen Passwörter dieses Universums parallel und gleichzeitig ausprobieren. Und natürlich auch knacken. Und diese Fähigkeit hat mit der verrückten Welt der Quanten zu tun.

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Die verrückte Welt der Quanten

Quantencomputer lesen Ihre Informationen aus den Positionen von Elektronen ab. Jedes Elektron hat zwei Zustände: up and down, also oben und unten. Und da in der Quantenwelt alles gleichzeitig auftreten kann, kann ein Elektron also gleichzeitig up und down sein. Das bedeutet: Bei zwei Elektronen, also zwei sogenannten Quantenbits (Qubits), ergeben sich schon vier Optionen, also vier Zustände (2^2), bei zehn Elektronen bereits 1.024 verschiedene Zustände (2^10), mit denen man Informationen abbilden oder speichern kann.

Qubits Der Begriff leitet sich vom physikalischen Begriff "Quant" und dem "Bit" aus der Computertechnologie ab. Das Quant ist der kleinstmögliche Wert einer physikalischen Größe – also die kleinste Einheit, aus der etwas besteht, wie zum Beispiel Atome, Photonen (Lichtteilchen) oder Elektronen – in etwa also so wie die Pixel beim Digitalfoto. In der Quantenwelt gelten eigene physikalische Gesetze, die unserem Alltagswissen zum Teil sogar widersprechen und die bis heute nicht komplett verstanden sind. Ein Qubit kann zum Beispiel ein geladenes Atom – ein Ion – sein oder auch ein Elektron in einem Stromkreis. Sie sind die Grundrecheneinheit in einem Quantencomputer.

All das erinnert an die Legende vom Reiskorn und dem Schachbrett aus Indien, nach der der weise Bramahne Sissa ein Reiskorn auf das erste Kästchen legt und mit jedem Kästchen die Reiskörner verdoppelt und zum Schluss würde die gesamte Reisernte der Erde nicht reichen, die man auf das letzte Kästchen des Schachbretts legen müsste.

Das gesamte Universum in einem Rechner

Doch wohin führt uns die Reise der Zustände und Möglichkeiten? Quantenphysiker Jan Meijer von der Universität Leipzig, schwärmt von einem 500-Quantenbit-Rechner. Das ist das, was man derzeit gern erreichen möchte: "Wenn ich 500 Qubits habe, dann habe ich mehr Zustände als es Atome im Universum gibt." Nebenbei bemerkt, wird die Zahl der Atome im Universum auf 10^89 geschätzt, also eine Zahl mit 89 Nullen hinten dran.

"Das heißt, ich bekomme auf einmal so viele Zustände up-down-up-down-down-up-up-up-down ...", erklärt Meijer. "Jetzt habe ich also die ganzen Zustände in meinem System drin und jetzt mache ich eine Operation 'Plus'. Und was mache ich jetzt? Ich addiere alle Zahlen, wie es Atome im Universum gibt, gleichzeitig. Wenn ich das dann ablese, kriege ich zwar nur Eins raus. Aber währenddessen addiere ich alle möglichen Zahlen gleichzeitig."

Das bedeutet: Selbst, wenn ich eigentlich nur wissen möchte, wieviel zwei plus zwei ist, rechnet der Quantencomputer gleichzeitig und parallel in rasender Geschwindigkeit mit so vielen Zahlen wie es Atome im Universum gibt. Einfach, weil er es kann!

Auf den ersten Blick erscheint das völlig überzogen, oder? So, als ob Sie zu ihrer heimischen Geburtstagsparty einladen und dafür 500.000 Tonnen Einkellerungs-Kartoffeln und 50 Millionen Kästen Bier bestellen würden. Doch was zunächst sinnlos erscheint, eröffnet für wissenschaftliche Fragestellungen völlig neue Horizonte, gar neue Welten. Denn es geht nicht nur um Schnelligkeit.

Es geht um viel mehr als nur Schnelligkeit

Unsere aktuellen Rechner liefern uns nur ein grobes und vereinfachtes Bild von der Welt, sagt der Theoretische Physiker Stefan Kehrein. "Wir kennen die Naturgesetze, die für uns relevant sind. Aber wir können sie in vielen interessanten Situationen nicht anwenden, ohne ganz, ganz grobe Näherungen zu machen."

Digitale Prozesse können Moleküle, Zellen und Zellhaufen, Prozesse oder Material-Eigenschaften gar nicht so kompliziert abbilden, wie sie in Wirklichkeit sind – geschweige denn mit den Datenmengen umgehen, die dieser Komplexität gerecht werden würden.

"Und die Moleküle, die relevant sind in der Chemie oder in der Medizin, die sind viel, viel komplizierter als das. Das heißt, obwohl wir die Naturgesetze kennen, obwohl wir wissen, welche Gleichungen wir zu lösen haben, können wir nicht zu einem klassischen Computer gehen und sagen, gib uns mal die Antwort."

Zwischen Möglichkeiten und Gefahren

Die Visionen und theoretisch möglichen Einsatzgebiete von Quantencomputern sind vielfältig: So wird beispielsweise an MRT-Aufnahmen von Stoffwechsel-Prozessen geforscht, wie Zucker-Moleküle auf Insulin in der Zelle reagieren; effektive Wirkstoffe gegen Krebszellen sollen gefunden werden; Quantencomputer könnten uns dabei helfen, unsere Warenströme rund um die Welt kürzer und schneller zu machen, unsere Stromnetze intelligenter, KI noch besser, und, und, und.

Neben all dem Forschungseifer warnt die UNO aber auch vor einer sogenannten Quantenkrise. Denn wenn es soweit ist, gibt es in der digitalen Welt keinerlei geschützte Daten mehr – zumindest nach heutigem Stand.

Von der Vision zur Wirklichkeit

Aber, wie gesagt, bislang sind all das noch Visionen. Noch. "Es kommt darauf an, wie die Verbindung der Qubits funktioniert. Es ist so, als ob sie Nervenzellen nebeneinander haben, die allein bringen's nicht. Sondern die Verbindungen zwischen den Nervenzellen bringen's", schildert Jan Meijer das Problem. "Also wenn man von Qubits spricht, dann muss man immer fragen: Ja, wie sind denn die miteinander verknüpft? Kann ich die vernünftig miteinander operieren lassen? Und das ist die große Aufgabe."

Quantenphysikerinnen und Quantenphysiker kühlen Atome bis auf den absoluten Nullpunkt, sie sperren sie in Diamanten-Strukturen ein, um Quantenprozesse stabil messen zu können und die Qubits zuverlässig und sinnvoll zu vernetzen. "Im Moment sind wir in der Lage, etwa 40 miteinander vernünftig zu verknüpfen", sagt Meijer. "Mehr kriegen wir derzeit nicht hin."

Besucher betrachten einen Prototyp von IBMs 50-Qubit-Quantencomputer während der CES 2018 im Sands Expo Center in Las Vegas.
Prototyp eines IBM-Quantencomputers bei der CES 2018. Bildrechte: imago images/Xinhua

Er vergleicht die Phase, in der die Quantencomputer derzeit stecken, mit der Zeit als Bill Gates und Steve Jobs an den ersten PCs in ihrer Garage geschraubt haben. Doch irgendwann wird es den Durchbruch geben, da ist sich Meijer sicher.

Das Universum für die Hosentasche

Und wie kann man sich einen solchen Supercomputer dann im Alltag vorstellen? Angeblich würde ja wohl schon ein Eimer voll Wasser ausreichen – ein Draht rein, ein Draht raus und den Rest machen dann die Wasserstoffatome. Aber im Ernst, wie könnte denn eine Version des Quantencomputers aussehen?   

"Die Physik steckt natürlich im Kleinsten. Nur müssen Sie auch die Atome richtig ansprechen können“, erklärt Meijer. "Letztendlich soll es so aussehen wie ein kleiner Stick, den sie einfach an Ihren Rechner dranklemmen. Da läuft es hin." Das gesamte Universum auf einem Stick – die verrückte Welt der Quanten eben!

Dieses Thema im Programm: MDR | Große Fragen in zehn Minuten | 19. März 2025 | 12:00 Uhr

5 Kommentare

MDR-Team vor 14 Stunden

@Katharina hat Fragen 2/2
Microsoft behauptet in einem Blog, mit dieser Konstruktion erstmals Majorana-Quasipartikel nach Bedarf erzeugen und kontrollieren zu können. Kollegen im gleichen Forschungsfeld sind jedoch skeptisch. Als das Paper beim Wissenschaftsjournal Nature eingereicht wurde, sagten zwei von drei anonymen Begutachtern klar, dass das Paper keinen ausreichenden Beweis für die Anregung der Majorana-Moden enthalte.
Der Veröffentlichung stimmten die Begutachter nur zu, weil darin ein Versuchsaufbau vorgestellt wird, der künftig Experimente mit Majorana-Moden erlauben könnte. Nature und andere renommierte Journale wie Science sind aus unabhängigen Untersuchungen dafür bekannt, Paper zu möglichen technischen oder wissenschaftlichen Durchbrüchen teilweise auch trotz vergleichsweise schlechter wissenschaftlicher Qualität zu veröffentlichen. Das gilt nicht nur für Energiespeicher aus Ziegelsteinen. Auch dieses Paper ist ein Beispiel dafür.
LG, das MDR-WISSEN-Team

MDR-Team vor 14 Stunden

@Katharina hat Fragen 1/2
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Tatsächlich um eine Tatsächlich ging es bei dieser Stelle um eine didaktische Verkürzung, um einen grundsätzlichen Unterschied möglich zu machen.
Der Autor ist zudem deshalb nicht auf die News zu Majorana 1 eingegangen, weil es noch jede Menge Meldungen gibt, die sich nicht bestätigen bzw. nicht wirklich belegbar sind. So scheint es auch bei der sogenannten Majorana Methode 1 von Microsoft zu sein. Es gibt Meldungen, dass es schon Rechner mit viel mehr als 40 qbits gibt, aber letztendlich kriegt man die Vernetzung nicht hin. Und damit kann man das vergessen. Deshalb ist er eher nicht drauf eingegangen – sondern eher grundsätzlich aufs Prinzip, worin die neue Qualität der Quantenrechner besteht.

Katharina hat Fragen vor 16 Stunden

Als ich den Beitrag sah, freute ich mich auf eine Einordnung zu den aktuellen News zu Majorana 1. Dass dieses Thema in einem aktuellen Artikel außen vor gelassen wird, finde ich schade. So verspricht Microsofts Quantenprozessor ja auch Antworten auf die im Artikel gestellten Fragen.

Weiterhin ist mir noch ein inhaltlicher Punkt aufgefallen: Während Herr Kehrein in seinem Beispiel von einer Labyrinth-Aufgabe spricht, fasst Herr Möbius in der "wahrscheinlich wichtigsten Stelle" falsch zusammen, dass ein Computer Rechenaufgaben nacheinander und mit Trial-and-Error berechnet. Hier werden deterministische und nicht-deterministische Aufgaben in einen Topf geworfen. Parallelität ist ebenfalls in Computern möglich, wobei ich hier die didaktische Vereinfachung nachvollziehen kann.

Der Artikel war dennoch kurzweilig und unterhaltsam, vor allem, dass die Zitatauswahl nicht auf die interviewten Wissenschaftler, sondern den Autoren des Artikels fiel, hat mich zum Schmunzeln gebracht.

LG

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