Jemand macht ein Foto mit einem Smartphone von einem Baby. 3 min
Bildrechte: IMAGO / Depositphotos
3 min

Der Hippocampus galt als Schuldiger dafür, dass wir uns nicht an unsere Tage als Baby erinnern. Doch eine neue Studie legt Zweifel nahe. Frank Wittig berichtet.

MDR AKTUELL Fr 21.03.2025 13:23Uhr 03:17 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Wissen-News Können wir uns doch daran erinnern, was als Baby war?

24. März 2025, 09:56 Uhr

Dafür, dass wir alles vergessen, was vor unserem zweiten Geburtstag war, hat die Wissenschaft eine Hirnstruktur verantwortlich gemacht. Doch eine neue Studie zweifelt an, dass der Hippocampus wirklich in Babytagen noch nicht ausreichend entwickelt ist.

Kinder können möglicherweise bereits mit einem Jahr autobiografische Erinnerungen speichern. Das ist das Ergebnis einer jetzt im Fachjournal "Science" veröffentlichten Studie eines amerikanischen Forscherteams. Die Ergebnisse sprächen dafür, dass die dafür bestimmte Hirnregion schon ab dem Alter von einem Jahr erlebte Erinnerungen speichern kann.

Der genaue Grund dafür, warum sehr frühe Kindheitserlebnisse nicht erinnert werden, ist demnach bisher unklar – etwa, ob es am Speichern der Erinnerung liegt oder an späteren Prozessen wie dem Abrufen. Um dies zu klären, untersuchten Forscher und Forscherinnen 26 Kinder im Alter von vier bis 25 Monaten – eine Hälfte war jünger und die andere Hälfte älter als ein Jahr. Durch funktionelle Magnetresonanztomographie (MRT) konnten sie die Hirnaktivitäten der Kinder darstellen.

Einjährige erinnerten sich an Bilder

Während der Untersuchung zeigten sie ihnen mehrere Bilder in Folge. Nach durchschnittlich einer Minute wurden in einem nachfolgenden Test Bilderpaare gezeigt: ein bereits gezeigtes und ein neues. Wenn die Kinder dem alten Bild mehr Aufmerksamkeit schenkten, war dies ein Indikator für ein Erinnern.

Bei Kindern, die sich an Bilder erinnerten, zeigte der Hippocampus – die für das episodenhafte Erinnern zuständige Hirnregion – beim allerersten Sehen eines dann später erinnerten Bildes eine verstärkte Aktivität – bei Bildern, die vergessen wurden, war das nicht so. Diese Aktivität trat demnach nur bei Kindern auf, die über ein Jahr alt waren.

Die Forschenden schließen aus ihren Ergebnissen, dass das Speichern durch den Hippocampus ab ungefähr einem Jahr möglich sei. Die Gründe für kindliche Vergesslichkeit müssten folglich nicht beim Abspeichern, sondern bei nachfolgenden Gedächtnisprozessen liegen.

Zweifel an Methodik und Aussagekraft

Die Befunde "lösen aber nicht das Rätsel, warum diese frühkindlichen Ereignisse - nachdem sie enkodiert wurden - aus dem episodischen Gedächtnis wieder verschwinden", sagte Jan Born, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen dem "Science Media Center".

Illustration eines Gehirns
Der Hippocampus (blau) scheint bei Babys doch früher Gedächtnisaufgaben zu übernehmen als gedacht. Bildrechte: IMAGO/BSIP

Zudem sei die Zahl von nur 13 Kindern im Alter von einem bis zwei Jahren, bei denen die fragliche Hippocampusaktivierung gefunden wurde, letztlich zu klein, um wirklich gesicherte Aussagen treffen zu können. Pamela Banta Lavenex, Psychologin an der FernUni Schweiz, spricht gar von einer "Überinterpretation" seitens der Autoren: "Die aktuelle Studie zeigt nicht die Verfügbarkeit von Kodierungsmechanismen für das episodische Gedächtnis. Vielmehr zeigt sie die Verfügbarkeit von Kodierungsmechanismen für die einmalige Kodierung zur Erkennung von Elementen im medialen Temporallappen (Hirnregion, in der unter anderem der Hippocampus liegt; Anm. d. Red.)."

Lavenex zweifelt dazu auch an, dass ihre Kollegen aus den USA tatsächlich Aktivitäten im Hippocampus per funktioneller Magnetresonanztomografie nachweisen konnten. "Die Autoren könnten ihre Ergebnisse vorsichtiger formulieren und sagen, dass eine stärkere Aktivität im medialen Temporallappen, einschließlich des Hippocampus, mit der Erkennung von Elementen korrelierte."

Wann entwickelt sich der Hippocampus entscheidend?

Flavio Donato vom Biozentrum der Universität Basel weist ebenfalls auf die begrenzte Aussagefähigkeit mit Hinblick auf das episodische Gedächtnis und den Hippocampus hin: "Trotz ihrer faszinierenden Ergebnisse hat die Studie ihre Grenzen. Sie untersucht nur eine bestimmte Art von Gedächtnis – die kurzzeitige Speicherung – und lässt die Frage offen, ob der Hippocampus in diesem Stadium andere Formen des Gedächtnisses unterstützt. Bei Erwachsenen spielt der Hippocampus eine entscheidende Rolle bei der Konsolidierung des Langzeitgedächtnisses und der räumlichen Navigation, aber diese Fähigkeiten scheinen sich erst später zu entwickeln, etwa im Alter von zwei Jahren und darüber hinaus."

Auch werfe die neue Studie Fragen auf, etwa darüber, was mit den vermeintlich gespeicherten Erinnerungen passiert, wenn sie später nicht mehr abgerufen werden können, die infantile Amnesie greift. Dennoch unterstrichen die Befunde der Studie Jan Born zufolge "ganz besonders, wie wichtig es ist, jedwede traumatische Erfahrung von Kindern fernzuhalten. Denn das kindliche Gehirn nimmt solche Erfahrungen sehr wohl auf und diese Erfahrungen wirken dann ein Leben lang."

kna/smc/jar

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 17. März 2025 | 17:19 Uhr

2 Kommentare

MDR-Team Gestern

Hallo @part,
die meisten Menschen können sich nicht an Erlebnisse vor dem dritten Lebensjahr erinnern (infantile Amnesie), da das Gedächtnissystem noch nicht vollständig entwickelt ist. Pränatal können Föten jedoch auf Reize wie Musik oder die Stimme der Mutter reagieren und diese nach der Geburt wiedererkennen – das ist aber keine bewusste Erinnerung. Emotionen der Mutter beeinflussen durch Hormone die Entwicklung des Kindes, was langfristige Auswirkungen haben kann. Wissenschaftlich belegt ist also, dass frühe Erfahrungen prägen, aber nicht als bewusste Erinnerungen abrufbar sind.
Herzliche Grüße

part vor 2 Tagen

Die Wissenschaft geht eigentlich davon aus, dass alle Erinnerungen und Ereignisse vor dem dritten Lebensjahr nicht gespeichert sind in unserem Bewusstsein, vielleicht und höchstens unterbewusst. Jedoch findet die Entwicklung des Gehirns des Ungeborenen schon pränatal statt, entsprechende musikalische Beschallung mit den verbunden positiven Emotionen der Mutter mit Ausschüttung von Glückshormonen sollen hier Wunder bewirkt haben. Die Gefühlswelt währende der Schwangerschaft der Mutter hat auch immer Auswirkungen auf den Entwicklungszustand des Kindes. Die Erinnerung beginnt eigentlich schon im Mutterlaib und wird dadurch geprägt, sie wird wahrscheinlich nur den wenigsten Menschen zugänglich, selbst nicht nur durch Realisierung der Familiengeschichte.

Mehr aus dem Bereich Psychologie und Sozialwissenschaften