Martina Klein und Thomas Scheidemann beim Spazierengehen.
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Martina Klein und Thomas Scheidemann beim Spazierengehen. Bildrechte: MDR/Schmidtfilm

Paar-Studie Kinderlosigkeit: Was beeinflusst die Akzeptanz?

22. März 2025, 13:00 Uhr

Nicht-Eltern kennen das: ratlose, enttäuschte Blicke, penetrante Fragen. "Warum woll ihr keine Kinder?" Kinderlosigkeit schreit für Menschen mit Nachwuchs offenbar nach Erklärungen. Eine Forschungsgruppe aus Ungarn, der Schweiz und Italien hat untersucht, was die Akzeptanz von Kinderlosigkeit beeinflusst und zeigt auf, dass hinter dem Begriff "gewollte Kinderlosigkeit" sehr verschiedene Dinge stecken können.

Wer mit Kindern lebt, ist in den ersten Jahren 24/7 im Standy-by-Modus. "Mama ich habe gekotzelt", flüstert die Vierjährige vorsichtig ins Elternohr, und wie von unsichtbaren Fäden gezogen richtet sich ein Elternteil auf, pellt das vollgespuckte Kind aus dem Schlafanzug, duscht den bibbernden Nachwuchs, neuer Schlafanzug an, Bett neu beziehen, entscheidet gleichzeitig: Was tun mit der stinkenden Bettwäsche, Kotzebröckchen vorher aus den Wäschefalten oder später aus dem Dusch-Siphon fischen?

Krankes Kind
Der Nachtschlaf wird bei Eltern oft unterbrochen. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Fragen und Aufgaben, die und denen sich Kinderlose selten stellen, sich vielleicht aber gerne stellen würden oder sich niemals gewünscht haben. Für ein Leben mit oder ohne Kind gibt es unzählige Gründe, jede/r hat eigene Motive und Begründungen für den persönlichen Lebensweg.

Leben ohne Kinder? Die Gesellschaft macht Druck

Dumm nur, dass die Gesellschaft immer meint, ein Wörtchen mitreden zu müssen.

Eine Gruppe von Geschäftsleuten steht zusammen in einem Coworking-Space und feiert mit alkoholischen Getränken.
Abweichungen von der "Norm" werden bei Job-Feiern genau beobachtet. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Frauen ab Ende 20 kennen das, vermeintlich dezente Hinweise auf eine unsichtbare tickende Uhr und ihr Alter, fragende Blicke beim "nein, danke" zum Glas Sekt auf Betriebsfeiern, bauchtaxierende Blicke ("Na, wohl was unterwegs?") , empörte Fragen: "Wer soll dich mal pflegen und besuchen? Meinst du nicht, das wirst du es später bereuen?", Verurteilungen: "Du bleibst wohl auf dem Egotrip", Verständnislosigkeit: "Du ahnst nicht, was du verpasst!" Die Liste von Fragen, Bewertungen, ungewünschten Bemerkungen, sprachlichen Übergriffen ist lang, wenn es um kinderlose Erwachsene und deren (vermeintliche) Motive zur Kinderlosigkeit geht.

Kinderlosigkeit in Deutschland: Warum werden nur die Frauen gezählt?

Dem Statistischen Bundesamt zufolge liegt in Deutschland bei Frauen die sogenannte Kinderlosenquote seit 2012 nahezu konstant bei 20 Prozent, bezogen auf den Anteil der Frauen ohne leibliche Kinder, die 2022 zwischen 45 und 49 Jahre alt waren. Ein spannender Unterschied zwischen Ost- und West-Deutschland: In Ostdeutschland (ohne Berlin) lag die Quote 2022 mit 14 Prozent deutlich niedriger als im Westen. Den niedrigsten Wert hat Thüringen mit 13 Prozent. Eine vergleichbare Aufstellung zu kinderlosen Männern gibt es beim Statistischen Bundesamt nicht, stattdessen verschiedene Erhebungen z.B. über die Anzahl der Kinder, die Männer haben.

Gewollte Kinderlosigkeit: Meinen wir alle das gleiche?

Großeltern kümmern sich um ihr Enkelkind.
Erst Eltern, dann Großeltern? Nicht immer klappt das Miteinander der Generationen. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Die Gründe für bewusste Kinderlosigkeit sind in jedem Fall privat und persönlich; die Reaktion bzw. Akzeptanz der Gesellschaft darauf sehr verschieden. Aber wer reagiert wie? Ist das europaweit ähnlich, oder variiert das nach Bildungsgrad oder Lebensabschnitt, Geschlecht? Was meinen wir eigentlich, wenn wir von gewollter Kinderlosigkeit reden? Und wonach fragt die Forschung eigentlich genau, wenn sie gewollte Kinderlosigkeit untersucht? Genau damit hat sich eine im März veröffentlichte Studie befasst. Das Forschungsteam aus Ungarn, Italien und der Schweiz arbeitete in seiner Analyse mit Daten zweier Umfragemodule, für die Menschen in 27 Ländern Europas ab 18 Jahren und bis über 60 befragt worden waren. Außerdem wurden sozioökonomische Faktoren mit einbezogen, also Alter, Geschlecht, Bildung, Familienstand, Berufstätigkeit, Religionsausübung.

Die Forschungsgruppe um Ivett Szalma, Marieke Heers und Maria Letizia Tanturri kommt zu dem Schluss. Bei der Erforschung gewollter Kinderlosigkeit muss die Wissenschaft viel differenzierter hingucken, und unterscheiden: Was steckt hinter dem Begriff gewollte Kinderlosigkeit? Steckt dahinter die gesellschaftliche Annahme, dass sich Menschen bewusst für die Kinderlosigkeit entscheiden, weil Eltern-sein generell Teil des Lebens ist? Oder ist es der vermeintlich angenommene gesellschaftliche Konsens nach dem Motto "ein Kind macht das Leben erst vollständig", und da entscheidet sich jemand dafür oder dagegen? Die Forscher führen in ihrer Analyse allerdings aus, warum beide Annahmen viele Motive für Kinderlosigkeit gar nicht erfassen. Schließlich gibt es Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Kinder kriegen können, aus genetischen, oder Leute, die das Zeitfenster fürs Kinderkriegen verpasst haben, fehlende finanzielle Ressourcen, persönliche Umstände.

Akzeptanz von Land zu Land verschieden und variiert nach Befragten-Alter und Lebensabschnitt

Die Auswertung dieser Analysen zeigte, dass der Stand der Geschlechtergerechtigkeit die größte Rolle für die Akzeptanz gewählter Kinderlosigkeit spielt. Oder anders gesagt: Je kleiner die Ungerechtigkeit, desto höher die Akzeptanz der freiwilligen Kinderlosigkeit.

  • Die niedrigste Akzeptenz für gewollte Kinderlosigkeit bei Frauen zeigte sich den Daten zufolge in Bulgarien, Estland, Litauen und Ungarn. Die höchste Akzeptanzwerte fanden sich in den Niederlanden und den Ländern Nordeuropas.

  • Bleiben Männer gewollt kinderlos, war das am stärksten in Dänemark akzeptiert und in Norwegen.

  • Beim Vergleich der ältesten und jüngsten Befragtengruppe zeigt sich, dass die jüngeren Altersgruppen eine positivere Einstellung zur freiwilligen Kinderlosigkeit von Frauen hatten als ältere.

  • Generell war die Akzeptanz für gewollte Kinderlosigkeit von Frauen und Männern bei Frauen höher als bei Männern.

  • Außerdem zeigten beide Messungen: Je gebildeter die Befragten, desto höher die Akzeptanz für gewollte Kinderlosigkeit. Personen mit einem niedrigeren Bildungsniveau lehnten dagegen das kinderfreie Leben eher ab.

  • Der Erwerbsstatus bzw. Lebensabschnitt wirkt sich offenbar auch auf die Akzeptanz gewählter Kinderlosigkeit aus, Rentnerinnen akzeptieren demnach die freiwillige Kinderlosigkeit von Frauen seltener.

Freiwillige Kinderlosigkeit: Zu wenig erforscht

"Die Erforschung gesellschaftlicher Einstellungen zur freiwilligen Kinderlosigkeit von Frauen und Männern ist ein unterrepräsentiertes Feld der sozialwissenschaftlichen Analyse, insbesondere aus vergleichender Perspektive", schreiben die Forschenden in ihrer Analyse. Das ist einer der Gründe, warum die Ergebnisse Interpretationsspielraum bieten, wie sie selbst einschätzen. Zumal die beiden Untersuchungen, auf die sie sich stützen, die European Social Survey (ESS) und die European Values Studies (EVS), unterschiedliche Herangehensweisen hatten. Für die zukünftige Forschung empfehlen sie daher "eine Reihe von Fragen zu formulieren, die die verschiedenen Dimensionen der freiwilligen Kinderlosigkeit besser widerspiegeln".

Links/Studien

"Measuring attitudes towards voluntary childlessness: Indicators in European comparative surveys". Die Studie lesen Sie hier.

lfw

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Kinderlos glücklich | 16. Februar 2025 | 07:30 Uhr

12 Kommentare

MDR-Team vor 7 Stunden

Hallo @part,
es stimmt, dass sich das Familienbild seit den 1950ern stark gewandelt hat. Damals galt der Mann als Hauptverdiener, während die Frau oft Hausfrau war. Heute sind meist beide Elternteile berufstätig – aus finanziellen Gründen, aber auch wegen Gleichberechtigung. Die DDR hatte tatsächlich eine höhere Geburtenrate, u. a. durch mehr staatliche Unterstützung wie flächendeckende Kinderbetreuung. Heute erschweren hohe Lebenshaltungskosten und begrenzte Kitaplätze die Entscheidung für Kinder. Elterngeld, flexiblere Arbeitsmodelle und der Ausbau der Kinderbetreuung sind Ansätze zur Verbesserung – dennoch bleibt die Familienplanung eine individuelle Entscheidung, beeinflusst von vielen Faktoren.
Herzliche Grüße

part vor 19 Stunden

Ich möchte einmal daran erinnern, in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der Mann offiziell als Alleinernährer propagiert, die Hausfrau hatte am Herd zu stehen und die Kinder zu versorgen, da war auch Realität, mitunter. Heute muss eine Frau und Mutter aus dem Berufsleben ausscheiden, temporär, es fällt benötigtes Einkommen weg, das dringend benötigt wird. Die berufliche Kariere der Frau leidet in jedem Fall, obwohl es Frauen ohnehin schwerer haben. Krippenplätze, Kindergarten, Hort, alles schwieriger und nur bis höchstens 17:00 Uhr. Die Geburtenrate der BRD gegenüber der DDR ist ein Alleinstellungsmerkmal für einen kinderfreundlichen Staat. Weiterhin wären wir bei der Inflation seit den 50er Jahren, Alleinverdiener Frau oder Mann heute undenkbar...

Hebamme Gestern

Bei allem Respekt, aber Ihr Beitrag ist Quatsch.
"im besten Deutschland aller Zeiten" gibt es eine Menge unterstützende Maßnahmen für Familien. Man muss sich informieren /informiert werden und Familienpolitik muß weiterhin wichtig bleiben. Auch die *Kleinigkeiten "sind wichtig.
Ich erinnere mich an die Kommentare unter dem Artikel" stillfreundliche Kommune "oder auch an die unter dem Artikel zum Familiencafe in Erfurt

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