Aufnahme leicht von unten: Landwirt steht an Kuh auf Weide und reicht Glas mit frisch gemolkener Milch an Kind, das Hand danach ausstreckt. Landwirtin im Hintergrund. Sonniges Wetter. 3 min
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Ernährung Rohmilch-Trend: Warum das unbehandelte "Weiße Gold" immer noch keine gute Idee ist

25. März 2025, 10:26 Uhr

Seit Monaten wird in Sozialen Netzwerken die Pasteurisierung verteufelt und unbehandelte Rohmilch als Superfood gehandelt. Grund dafür ist eine fragliche Auffassung von Natürlichkeit. Fachleute schütteln den Kopf und sagen, dass man das besser bleiben lassen sollte. Gesundheitlich gibt es praktisch nur Nachteile.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Dieses Ansinnen um die Natürlichkeit, nun, das ist ein freilich dehnbares. Auf dem Landgut Nemt in der Nähe von Wurzen geht das so: Alles bio, alles regional und alles aus einem Rutsch. Die Kühe liefern hier nicht nur Milch, sondern dieselbe wird nebenan auch gleich ins Tetrapak gefüllt oder zu Joghurt und Käse weiterverarbeitet. Nur Milch direkt aus dem Euter gibt’s hier nicht zu kaufen. Lebensmitteltechniker und Geschäftsführer Karsten Döbelt sieht da auch keinen Grund: "Es war eigentlich nie unser Ansinnen in dem Bereich der Rohmilch aktiv zu werden."

Milch vom Landgut Nemt ist pasteurisiert, also kurzzeitig moderat erhitzt – nicht zu verwechseln mit der ultrahohen Erhitzung, wie sie zur Herstellung von H-Milch notwendig ist. Die Pasteurisierung hat der Chemiker Louis Pasteur bereits Mitte des 19. Jahrhundert entwickelt. Nicht-pasteurisierte Rohmilch ab Hof gibt es etwa an sogenannten Milchtankstellen oder als Vorzugsmilch auch im Laden – mit einer Haltbarkeit von höchstens 96 Stunden. Landwirtinnen und -wirte liefern damit nicht nur einen Rohstoff, sondern ein Lebensmittel. Aus Perspektive der Direktvermarktung ist das bei Betrieben ohne Hofmolkerei durchaus nachvollziehbar, aber die gesetzlichen Auflagen sind entsprechend hoch und der Hinweis, dass das Ganze nicht für den rohen Verzehr vorgesehen ist, obligatorisch. Für Karsten Döbelt ist Rohmilch kein Thema, außerdem sei kaum Nachfrage da: "Wir kriegen vielleicht drei, vier Anfragen im Jahr."

Von wegen Hafermilch: Rohmilch in Sozialen Netzwerken

Screenshot zeigt die Plattform Tiktok, auf der in einem Video ein Glas mit Kurkuma an der Kuh mit Milch befüllt wird.
Tiktok: Kurkuma Latte direkt am Euter Bildrechte: Screenshot

Ein anderes Bild zeichnet sich in den sozialen Netzwerken, wo nicht Kokos-, Mandel- und Hafermilch, sondern Rohmilch als ganz natürliches Superfood angepriesen wird und der Kurkuma-Latte auch mal direkt unterm Euter entsteht. In den Vereinigten Staaten hat die Rohmilch-Bewegung mit dem neuen Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. sogar eine eigene Galionsfigur, die sich nicht nur als Impfgegner und Verschwörungstheoretiker positioniert, sondern ausschließlich unbehandelte Milch trinkt und propagiert – und dabei die für einen Gesundheitsminister nicht ganz unerhebliche Warnung ignoriert, dass dadurch auch das Vogelgrippevirus auf den Menschen übertragen werden kann. Was einst ein Kulturkampf zwischen "Milch braucht kein Mensch" und "Milch ist wichtig und gesund" war, ist mittlerweile also ein Streit um die korrekte Darreichungsform.

Rohmilch enthält ein Sammelsurium an Mikroorganismen

Prof. Dr. Thomas Henle TU Dresden

Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Aufs Pasteurisieren zu verzichten, ist aus wissenschaftlicher Sicht schlichtweg Unfug, sagt Lebensmittelchemiker Thomas Henle von der TU Dresden. Das Argument, durch die Erhitzung würden je nach Temperatur mindestens zehn Prozent der enthaltenen Vitamine verloren gehen, kann er zudem schnell entkräften: "Milch ist keine besonders wichtige Quelle für B-Vitamine oder für das Vitamin C, sodass diese Verluste für die Ernährung völlig irrelevant sind. Diese Vitamine nimmt man besser mit Obst oder mit Gemüse auf."

Kleines Milch-ABC:

Rohmilch

direkt aus dem Euter, Verkauf ab Hof, sollte vor Verzehr erhitzt werden

Wichtige Milchnährstoffe sind eher das Vitamin D und Calcium. Nur werden die durch das leichte Erhitzen gar nicht beeinflusst. Statt gesundheitliche Vorteile mitzubringen, erhöhe der Konsum von Rohmilch das Risiko für Infektionskrankheiten, erklärt Thomas Henle. Und zwar auch bei vorbildlicher Stallhygiene: "Rohmilch enthält ein Sammelsurium an Mikroorganismen. Die können aus dem Euter stammen, die können von der Haut der Kuh stammen, die können von den Fäkalien der Kuh stammen."

Backstein-Gebäudewand mit offener Tür, darin Milchautomat. Schild über Eingang: Frische Landmilch, selbst gezapft – Milchtankstelle
An Milchtankstellen kann Rohmilch direkt ab Hof erworben werden – hier auf Föhr Bildrechte: imago/imagebroker

So sind etwa Salmonellen, Campylobacter und E.coli in der Lage, schwere Durchfallerkrankungen auszulösen, mitunter sogar blutige bis hin zu tödlichen Erkrankungen. Für ungeborene Kinder sind vor allem Listerien lebensgefährlich. In der Schwangerschaft ist Rohmilch deshalb tabu – und für Kinder und immungeschwächte Menschen ebenfalls mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden. Berichte im Internet verweisen in diesem Zusammenhang gern auf die anekdotische Erfahrung, dass man noch nie einen gesundheitlichen Schaden durch das Trinken von Rohmilch festgestellt hätte und Studienergebnisse zeigen würden, dass mit Rohmilch versorgte Landkinder weniger Allergien als Stadtkinder hätten.

So schonend, wie wir das hinkriegen, kriegt das die Privatperson zu Hause in der Küche nicht hin

Karsten Döbelt Lebensmitteltechniker, über das Abkochen von Milch

Für Thomas Henle nichts Neues: "Wenn überhaupt, dann zeigen diese Studien Korrelationen und keine Kausalitäten. Das heißt, mit anderen Worten, diese Studien beweisen definitiv nicht, dass Rohmilch der Grund ist für ein möglicherweise verringertes Allergierisiko bei Landkindern." So gebe es in diesem speziellen Fall noch viele andere mögliche Erklärungsansätze, "bis hin zu der vermutlich einfach größeren Aktivität und der gesünderen Lebensweise bei Landkindern. Die sind halt einfach mehr in der frischen Luft als die sehr behüteten Stadtkinder." Aus den Studienergebnissen eine Ernährungsempfehlung abzuleiten, sei seiner Auffassung nach vollkommen vermessen: "Vor allen Dingen, wenn man daraus dann vielleicht folgert, dass man mit seinen Stadtkindern einmal in der Woche auf den Bauernhof fährt, die Kinder dann zwei Stunden im Stall spielen lässt und dann der Meinung ist, wenn sie dann zusätzlich Rohmilch trinken, dass sie dann für das Immunsystem was Gutes tun."

Kein Beweis für weniger Allergien – Rohmilch immer erhitzen

Ob nun behütetes Stadtkind oder Erwachsener vom Lande: Prinzipiell sollten sowieso alle Menschen Rohmilch nur erhitzt verzehren – so, wie es an jeder Milchtankstelle dransteht. Doch das ist genau der Knackpunkt, sagt Karsten Döbelt vom Landgut Nemt: "So schonend, wie wir das hinkriegen, kriegt das die Privatperson zu Hause in der Küche nicht hin. Da sind wir dann ganz schnell bei anderen Temperaturen."

Um den natürlichen Charakter zu erhalten, wird in Döbelts Betrieb im Übrigen weder homogenisiert noch ultrahocherhitzt, sondern eben ein reines Naturprodukt verkauft, nur eben ohne potenziell krank machende Bakterien. Und wem das an Natürlichkeit noch nicht reicht: Das Allernatürlichste ist es dann wahrscheinlich, nach der Muttermilch mit dem Milchkonsum Schluss zu machen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 24. März 2025 | 10:52 Uhr

25 Kommentare

MDR-Team Gestern

Liebe/r/s @Stealer, gern wollen wir Ihren Kommentar ergänzen:
Dass Fermentation eine lange Tradition hat und Krankheitserreger hemmt, ist unbestritten – sie verändert aber auch das Mikrobiom gezielt.

Allerdings kann die vorherige Pasteurisierung der Milch eine Rolle spielen: Sie tötet nicht nur potenziell gefährliche Keime, sondern auch einige hitzeempfindliche Bakterien, die das Mikrobiom positiv beeinflussen könnten. Dennoch ist fermentierte Milch ein bewährter Weg, um probiotische Kulturen zuzuführen und die Darmflora zu unterstützen.

Ernährung bleibt der Schlüssel: Neben fermentierten Produkten tragen auch Ballaststoffe und Vielfalt dazu bei, das Mikrobiom langfristig zu stärken.
Herzliche Grüße

Stealer Gestern

Den Hype in bestimmten sozialen Medien kann ich nicht so nachvollziehen. Sicherlich kann man Rohmilch trinken und meistens ist das unproblematisch. Nur was soll daran besonders gesund oder natürlich sein?

Seit der Mensch die Milch anderer Säugetiere verwertet wurde der Großteil davon fermentiert - zur Haltbarkeit und auch zum Abtöten von unerwünschten Keimen - praktisch alle Milchprodukte gehören dazu. Und die im Prozess der Fermentierung (nicht nur bei Milch) beteiligten Bakterien sind die nützlichsten, die man aufnehmen kann.

Stealer Gestern

@Peter123: E. coli haben wir wohl fast alle im Darm, das ist ein ganz normaler Bewohner unseres Verdauungstraktes. Es gibt allerdings auch pathogene Stämme, und die sollte man sicherlich nicht in größeren Anzahl besitzen.

Was "gute" Bakterien angeht: die kriegt man üblicherweise erst durch die Fermentation und da spielt es keine Rolle, ob die Milch vorher pasteurisiert wurde. Sauermilch, Quark, Kefir, Buttermilch, Joghurt, Käse - die Prozedur der Milchsäuregärung gibt es seit der Steinzeit und tötet vorhandene Krankheitserreger ab bzw. inhibiert das Wachstum von neuen.

Das ist übrigens eine der wenigen Maßnahmen, das Mikrobiom im Darm zu stärken. Ansonsten existiert oder verkümmert/verändert es sich durch die sonstige Ernährung.

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