Gefährlicher Gesundheits-Trend Krankmachendes Stresshormon? Fachleute warnen vor "Cortisol-Detox"
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16. März 2025, 05:00 Uhr
Ein geschwollenes Mondgesicht, Gewichtszunahme, ständige Müdigkeit und Konzentrationsprobleme: Dafür ist eine Überproduktion des Hormons Cortisol verantwortlich, behaupten Influencer in den Sozialen Medien. Und natürlich gibt es auch gleich die passenden Produkte und Tipps zur "Cortisol-Entgiftung" – zum Detox – dazu. Doch das Hormon ist überlebenswichtig, mahnen Fachleute und warnen vor den Risiken des Gesundheits-Trends.
Schon seit einigen Monaten geistert der Begriff des "Cortisol-Face" – also des Cortisol-Gesichts – durch die Sozialen Netzwerke. Vermeintliche Gesundheitsinfluencer warnen dann vor einem Überschuss des körpereigenen Stresshormons Cortisol. Das soll dann der Grund für ein rundliches Gesicht sein oder Haarausfall und vorzeitige Hautalterung verursachen, sagt die Hamburger Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie Birgit Harbeck. Sie warnt im Namen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) vor diesem Trend – und der Selbstdiagnose von Cortisolüberschüssen.
Dieser Trend ist gefährlich, weil er völlig verkennt, dass es sich bei Cortisol um ein lebensnotwendiges Hormon handelt, das den Körper überhaupt erst leistungsfähig macht.
Die normale Stressbelastung im Alltag sei natürlich mit Schwankungen im Cortisolspiegel verbunden, erklärt die Ärztin. Das sei aber nicht zu vergleichen mit einer krankhaften Überproduktion des Hormons. "Und das wiederum heißt natürlich auch, dass ein rundliches Gesicht in den allermeisten Fällen eben nicht darauf zurückzuführen ist."
Was ist Cortisol?
Cortisol gehört zu den sogenannten Steroidhormonen. Bei einem gesunden Cortisolstoffwechsel ist es nicht schädlich, sondern lebensnotwendig, da es dem Körper unter anderem Energie liefert. Das Stresshormon wird in einem tagszeitlichen Rhythmus freigesetzt: Morgens wirkt es als Wachmacher. Im Laufe des Tages wird das Cortisol dann kontinuierlich abgebaut, sodass der Pegel nachts am niedrigsten ist.
Auch in alltäglichen Stresssituationen setzt der Körper Cortisol frei: Neben Adrenalin und Noradrenalin dient es zur Vorbereitung auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion. Durch die Ausschüttung erhöhen sich der Blutdruck und der Blutzuckerspiegel, das Immunsystem wird unterdrückt und Fett-, Protein,- und Kohlenhydratstoffwechsel arbeiten stärker.
Die Ärztin betont, dass die häufig online angebotenen kommerziellen Hormontests für zu Hause keine validen Ergebnisse lieferten. Bei denen wird der Cortisolspiegel über den Speichel gemessen. "Wir wissen nicht, zu welcher Tageszeit Zeit sie abgenommen worden sind, sie sind ungenau und irreführend und es führt dazu, dass wir immer wieder verängstigte Patienten sehen, die sich bei uns vorstellen, weil sie meinen, sie hätten eine Störung des Cortisolstoffwechsels."
Wer den Verdacht habe, dass bestimmte Beschwerden eine hormonelle Ursache haben könnten, sollte sich bei einer endokrinologischen Facharztpraxis vorstellen, rät Harbeck. "Grundsätzlich gehört eine solche Testung in die Hand eines erfahrenen Endokrinologen." Der könne Betroffene dann auch entsprechend beraten, so die Medizinerin.
Cushing-Syndrom: Wann es wirklich zu viel ist
Cortisol wird in den Nebennieren produziert und diese Produktion wiederum von der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) im zentralen Nervensystem gesteuert. Sie unterliegt einer tageszeitlichen Schwankung, erklärt Endokrinologin Harbeck. "Wir haben morgens deutlich höhere Spiegel. Dann gibt es einen Peak und gegen Mitternacht ist der Wert sehr niedrig." Für weitere Ausschläge sorgen Stressreize – deshalb wird Cortisol auch häufig als Stresshormon bezeichnet.
Das Hormon habe eine Vielzahl von Aufgaben im Körper, die vor allem dazu dienten ihm Energie zu liefern, erläutert die Medizinerin. "So wird etwa die Glucoseproduktion der Leber gefördert sowie der Fettstoffwechsel aktiviert und der Proteinumsatz gefördert." Die Energie, die die Cortisolausschüttung liefere, diene vor allem der Stressbewältigung. Das Hormon sei wie der Motor eines Autos, sagt Harbeck: "Ohne Cortisol geht es nicht. Der Mensch braucht es, um am Leben zu bleiben."
Wenn Cortisol fehlt, ist das also ein Problem für den Körper. "Ein Cortisolmangel durch eine Funktionsstörung der Nebennieren oder der Hypophyse stellt ein lebensbedrohliches Krankheitsbild dar, das in der Regel eine lebenslange Cortisolersatztherapie notwendig macht", erklärt Harbeck. Und auf der anderen Seite gibt es tatsächlich auch ein zu viel: Bei einem Überschuss von Cortisol im Körper spricht man vom Cushing-Syndrom. "Die Ursache kann eine krankhafte Veränderung der Nebennieren oder der Hypophyse sein. Das sind dann meist Adenome – also gutartige Tumore." Noch häufiger sei es aber die Folge einer systemischen Cortisontherapie wegen einer entzündlichen Erkrankung. Typische Anzeichen dafür sind der Medizinerin zufolge die Stammfettsucht, sodass Betroffene eine Art Mondgesicht bekämen, Muskelschwäche vor allem in den Beinen und rote Streifen am Körper.
Entgiftung von lebenswichtigem Hormon nicht möglich
Was ist also dran am "Cortisol-Detox", das in den sozialen Netzwerken vermarktet wird? Diese Entgiftung soll ja wahlweise Müdigkeit, Bauchfett oder Konzentrationsstörungen bekämpfen, so das Versprechen. Das Ziel dabei ist, den Cortisolspiegel auf natürlichem Weg zu senken.
Viele Tipps seien da zunächst nicht so schlecht, meint Endokrinologin Harbeck: "Empfehlungen wie Bewegung und Sport, Entspannung und Schlaf sowie eine gesunde Ernährung fördern grundsätzlich einen gesunden Lebensstil und sind daher zu begrüßen." Und sie könnten tatsächlich zu weniger Stress und dadurch auch zu einem niedrigeren Cortisolspiegel führen. Aber: Zu einer "Entgiftung" führe das natürlich alles nicht und die sei im Fall eines lebenswichtigen Hormons auch nicht gewollt.
Eine 'Entgiftung' von diesem überlebenswichtigen Hormon ist nicht möglich und vor allem nicht geboten oder gar erwünscht.
Und nicht zuletzt beeinflusst jeder Stress den Cortisolspiegel – auch der positive. Denn auch, wenn wir besonders aufgeregt sind oder Sport treiben, führe das zu Peaks, erklärt die Medizinerin. Und das sei auch gar kein Problem: "Die Peaks verblassen sozusagen wieder und dann haben wir wieder unseren normalen Cortisolspiegel."
Links/Studien
Balasamy, Sesuraj et. al.: Cortisol: Biosensing and detextion strategies. In: Clin Chim Acta 2024; 562:119888. DOI: https://doi.org/10.1016/j.cca.2024.119888.
Kaiser, Hanns und Kley, Hans-Kuno: Cortisontherapie: Corticoide in Klinik und Praxis. Stuttgart, New York. 11. Auflage 2002. DOI: https://doi.org/10.1055/b-002-43896.
Azmi, Nor Amira Syahira Mohd et. al.: Cortisol on Circadian Rhythm and Its Effect on Cardiovascular System. In: International Journal of Environmental Research and Public Health, 2021, 18(2), 676. DOI: https://doi.org/10.3390/ijerph18020676.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 09. März 2025 | 12:35 Uhr